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In der Bushaltestelle
- 24. April 2013
- Gepostet von: meridian
- Kategorie: Allgemein
Im B2 Kurs hatten wir den Schreibauftrag, einen Text von Elke Heidenreich (“Der Hund wird erschossen”) weiter zu schreiben. Der Text endet so:
“Eine halbe Stunde später verließ unsere Mutter mit einem Koffer in der Hand und unter dem infernalischen Gebell von Molli das Haus und ging zur Bushaltestelle, obwohl doch in der Nacht dort gar kein Bus abfuhr….” aus: Elke Heidenreich, Kolonien der Liebe. c 1992 Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg.
Hier zwei Vorschläge, wie die Geschichte weitergegangen sein könnte. Zuerst eine Fortsetzung aus Sicht des Erzählers:
Sie hat bei der Bushaltestelle gestanden, ohne Ahnung, was sie mit ihrem Leben machen sollte. Sie hat sich auf die Bank gesetzt und sie hat langsam eine Zigarette angeraucht. Die Tränen sind über ihre Wangen geronnen.
Sie hat nicht einmal gehört, dass ein Auto bei ihr gehalten hat. Der Mann, der im Auto saß, hat sie gefragt, ob sie wüsste, in welcher Richtung Wien ist. Ein unerwarteter Gedanke ist in ihrem Kopf entstanden. Sie hat ihm angeboten, dass sie ihm den Weg zeigen könnte, weil die Stadt nicht so fern sei und sie denselben Weg hätten.
Dann hat sie ihren Koffer auf den hinteren Sitz gelegt und sie selbst hat sich neben den Fahrer gesetzt….
Boris, Deutschkurs intensiv B2, April 2013
[hr]
Hier eine Fortsetzung aus Sicht der Tochter Berti:
Notgedrungen gewöhnte ich mich schon an diese Situationen. Ich wartete ca. eine Stunde lang, dann fragte ich meinen Vater:
– Holst du Mutti ab?
– Nein, ich holte sie auch letztes Mal ab, jetzt bist du dran!
– Na gut, ich gehe gleich, aber bitte versuche dein Bestes, dich mit ihr zu versöhnen.
Ich ging zur Bushaltestelle, wo meine Mutter stand. Es war kein Auto weit und breit zu sehen. Plötzlich, aus heiterem Himmel, bog ein Auto in die Straße ein und überfuhr mich. Ich fühlte einen schrecklichen Schmerz. Ich hörte nicht nur das Schreien meiner Mutti, sondern auch das nervenaufreibende Gebell unseres Hundes.
Das letzte Bild, an das ich mich erinnern kann, war, dass meine Eltern Arm in Arm gingen und sie mir in den Operationssaal folgten. Es gab dann kein Streiten mehr, nur Stille und Hoffnung.
Obwohl die Ehe meiner Eltern schlecht war, liebten sie sich irgendwo tief im Inneren. Seitdem bemühen sie sich darum, nicht mehr meinetwegen zu streiten sondern sich gegenseitig zu verstehen.
Ist wirklich ein Trauma unverzichtbar, um unsere Leben zu verbessern?
Kata, Deutschkurs intensiv B2, April 2013